Emil Betzler

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Aufsatz

Leben
 

Vorabdruck: Emil Betzler (1892-1974)

Klaus Kösters

Dieser Aufsatz über Emil Betzler ist ein Vorabdruck aus dem Begleitbuch der Ausstellung „Anpassung – Überleben – Widerstand", die ab November 2012 in 6 Museen in Westfalen gezeigt wird. Das Begleitbuch wird im November 2012 im Aschendorff-Verlag in Münster erscheinen und die auf den Ausstellungen vertretenen Künstler mit einem Einführungstext und wichtigen Bildern vorstellen. Umfang: etwa 240 Seiten, voraussichtlicher Ladenpreis: 19,80 €. Der Vorabdruck ist urheberrechtlich geschützt, Kopien sind nicht gestattet.

Emil Betzler wurde in Kamen geboren. Seine Eltern besaßen eine Buchhandlung mit Druckerei. 1910 begann er eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Elberfeld, 1912-14 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf und machte das Examen für das künstlerische Lehramt. Nach Kriegsdienst und schwerer Verwundung, die eine Fußamputation zur Folge hatte, war er ab 1917 Lehrer in Frankfurt a. M. Er schloss sich 1918 dem Frankfurter Künstlerbund an, dem auch Max Beckmann angehörte.

Rückblickend schrieb Betzler: „Das gewaltige Erlebnis meiner Jugend war in jeder Beziehung der 1. Weltkrieg. Da wurde manches fragwürdig, was ich bis dahin für wichtig gehalten hatte. [...] Denn mit dem, was mir die halbvertrocknete Akademie vor dem Krieg vermittelt hatte, war jetzt nur noch ein Neuanfang zu bestreiten."

Mit seiner 1917 herausgegebenen expressionistischen Mappe „Christus-Passion" verarbeitete er seine bedrängenden Kriegserfahrungen. Viele Künstler des Expressionismus versuchten damals, das erfahrene Leid und die schrecklichen Erlebnisse des erbarmungslosen Grabenkrieges im Rückgriff auf die religiöse Thematik der Christuspassion zu verarbeiten. Die wenigsten Künstler hatten damals ihre Arbeiten für kirchliche Auftraggeber geschaffen. Der unermessliches Leid ertragende Christus, nicht der Erlösergott, war aufgrund der traumatischen Kriegserfahrungen ihr Thema. Auch nach dem Krieg entstanden Passionsdarstellungen von Betzler und vielen anderen, wie überhaupt die künstlerische Verarbeitung der alptraumartigen Kriegserlebnisse bei den meisten erst nach 1920 einsetzte. Im unmittelbaren Frankfurter Umfeld von Emil Betzler ist hier neben Max Beckmann (1884-1950) auch Gottfried Diehl (1896-1956) zu nennen, mit dem Betzler in der Künstlergruppe „Ghat" (s. u. ) verbunden war.

Abb. 01 Kreuzigung, 1919/20, Aquarell, Feder, 50,5 x 42,7 cm, Privatbesitz

Das 1919/20 entstandene Aquarell „Kreuzigung" zeigt drei T-förmige Kreuze mit Christus und den beiden Schächern. Unter ihnen liegen „elendig gekrümmte, ausgezehrte und entblößte Gestalten". Die düstere, spukhafte Szene verstärkt der bedrohlich rote Feuerschein, der in einen düsteren, lichtlosen Himmel übergeht. Hinter der Kreuzigungsgruppe leuchten grell einige Hochhäuser auf. Betzler erschafft mit seinem Aquarell eine schaurig-düstere Szene, wo jegliche Hoffnung auf Erlösung zugrunde gegangen ist. Das Inferno des Krieges hat zu einer Agonie des Humanen geführt und setzt sich in der modernen gesellschaft fort. Betzler formulierte eine erschütternde Anklage an den Zustand der Welt - aber wer anklagt, möchte auch verändern. So ist die finstere Szene letztlich nicht ohne Hoffnung, wie sie auch in dem Gedicht „Gethsemane" des expressionistischen Dichters Kurt Heynicke (1891-1985) zum Ausdruck kommt, das ebenfalls kurz nach dem Krieg entstand:
„Alle Menschen sind der heiland. / In dem dunklen Garten trinken wir den Kelch. / Vater, laß ihn nicht vorübergehen. / Wir sind alle einer Liebe. / Wir sind alle tiefes Leid. / Alle wollen sich erlösen. / Vater, deine Welt ist unser Kreuz. / Laß sie nicht vorübergehen."

Abb. 02 Die Besiegten, 1919, Tuschpinsel mit Kohlestift, 43 x 34 cm, Privatbesitz

Eine ebenfalls 1919 entstandene Zeichnung „Die Besiegten" klagt das Grauen des Krieges direkter an, obwohl sich Betzler auch hier traditioneller Bildmetaphern bedient. Ein unnahbar stolzer, hoch zu Ross reitender Krieger mit einer Lanze befindet sich hinter einer Gruppe von nackten, von Schmerz und Angst niedergeworfenen Menschen. Gestik und Körperhaltungen sind expressiv überzeichnet und verstärken den Eindruck von maßlosem Leid und grenzenlosem Entsetzen. Das Bild ist ohne Raumtiefe, weshalb die Gruppe in beklemmender Enge zusammengepfercht erscheint. Die harten Hell-Dunkel-Kontraste verleihen der Zeichnung eine unheilvolle Atmosphäre.

In beiden Graphiken setzte sich Betzler nicht politisch mit Krieg und Zusammenbruch auseinander, sondern kleidete die Bildaussagen in einen traditionellen religiösen bzw. mythischen Rahmen. Deformation von Bildraum und Figuren bis hin zur Groteske sind expressionistische Stilmittel zur Ausdruckssteigerung, die sich auch bei anderen Künstlern der Zeit finden.

Abb. 03 Die Befreiung, 1920, Holzschnitt, 29,5 x 22 cm, Privatbesitz

In einem Holzschnitt von 1920 benutzte Betzler ebenfalls traditionelle Bildformeln, die er expressiv steigerte: Eine nackte männliche Figur steht auf einer Bergkuppe und hat die Arme der aufgehenden Sonne entgegen erhoben, vor deren gezacktem Lichtschein sich seine Silhouette abhebt. Die Raumtiefe ist aufgehoben, Vorder- und Hintergrund miteinander verspannt. Die Sonne als Symbol des Lichtes, auch des himmlischen Lichtes, oder als Ursprung des Lebens ist uralt und hat in vielen Religionen und Mythen ihren Niederschlag gefunden. Zeitlich näher aber ist die Symbolik der lebensreformerischen bewegungen um die Jahrhundertwende. Das in mehreren Fassungen verbreitete und sehr bekannte Bild „Lichtgebet" des Malers Fidus (Hugo Höppner 1868-1948) von 1908 könnte Emil Betzler zu seinem Holzschnitt angeregt haben. Die antizivilisatorische Sehnsucht der Jahrhundertwende, die Trennung von Mensch und Natur jenseits der modernen Großstadt zu überwinden, war auch im Expressionismus weiterhin aktuell, weshalb Betzler wie auch Fidus ihre beiden Jünglinge in eine unberührte Bergwelt versetzen. Die nackte Jünglingsgestalt ist darüber hinaus ein Motiv, das andere Künstler, die der Lebensreform nahestanden, als Symbol für Jugend und Aufbruch verwendeten. Betzler benutzte diese im Jugendstil entwickelten Bildformeln, um nach Krieg und Zusammenbruch seine Hoffnung auf eine Besserung der Verhältnisse auszudrücken.

Dennoch, diese Jahre nach dem Krieg waren für Künstler nicht einfach, da der Kunstmarkt sich erst wieder entwickeln musste. So gründeten Emil Betzler und die Maler Gottfried Diehl, Hanns Ludwig Katz (1892-1940) sowie der Galerist Herbert Cramer (1893-1947) in Frankfurt die Künstlergruppe „Ghat", deren Name sich wohl von einer Oase in der Sahara herleitet. Die Gruppe war nicht programmatisch ausgerichtet, sondern verstand sich als eine Interessengemeinschaft zur gemeinsamen Vermarktung ihrer Kunstwerke. Die Gruppe ging allerdings nach kurzer Zeit auseinander.

Betzler wandte sich - wie viele Künstler damals - allmählich vom Expressionismus ab und der Neuen Sachlichkeit zu. In dieser Zeit entstand Betzlers Mappe „Großstadt". Während seine expressionistischen Arbeiten visionär oder metaphorisch sind, wandte er sich nun seiner Umwelt zu. Betzler zeigt in der Grafikfolge wie beim Bild „Leierkastenmann" genreartige Alltagsszenen des Großstadtlebens, die zwar Arme und Reiche in ihren jeweiligen Milieus darstellen, aber letztlich in keine sozialkritisch-politische Aussage münden. Darin unterscheidet sich seine Kunst von den scharfen Politsatiren eines George Grosz (1893-1959) oder Otto Dix (1891-1969).

Abb. 04 Leierkastenmann, aus der Mappe: Großstadt, 1920, Lithografie, 31 x 23 cm, Privatbesitz

1925 machte er die Bekanntschaft von Max Beckmann. Betzler hielt anlässlich des Besuchs im Künstlercafé „Astoria" dessen markantes Profil in einer Zeichnung fest, die er dann für eine Radierung benutzte.

Abb. 05 Max Beckmann im Café Astoria, 1925, Radierung, 18 x 23,3 cm, Privatbesitz

Die Radierung steht auf der Schwelle zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Die übertriebene, leicht karikierende Typisierung der Caféhausbesucher, Überzeichnungen wie z. B. die überproportionalen Köpfe, die fallende Perspektive sind durchaus Elemente, die in der expressionistischen Grafik gang und gäbe waren, aber die durch Schraffuren hervorgehobene Plastizität der Figuren und die Detailfreude der Zeichnung sind Elemente, die dem neuen Stil entsprechen.

Abb. 06 „Tanz", 1926, Öl/Lw. 100 x 70 cm, Privatbesitz

Sein Hauptwerk dieser Zeit ist das Bild „Tanz" von 1926, wo er eine mondäne Gesellschaft bei ihrem Freizeitvergnügen nicht ohne ironische Distanz schildert. Die wenigsten Paare schauen sich in die Augen. Gleichgültigkeit, Überheblichkeit bis zu Arroganz lassen sich in den gesichtern lesen, aber auch Zuneigung, hingabe und freude am Tanz. Betzler gelingt es, ein ganzes Panorama menschlicher Paar-Beziehungen auf engstem Raum darzustellen. Die Aufsicht und die stürzende Perspektive sind expressive Elemente, die er auch in früheren Arbeiten verwandt hatte, die genaue Wiedergabe der modischen Kleidung verweist auf neusachliche Stilmittel. Das Thema seines Spätwerks, wo er die Beziehungen zwischen Mann und Frau beleuchtete, deutet sich hier an.

1926 wurde er zum Studienrat ernannt, 1930 zum Fachberater für Kunsterziehung an Hochschulen. Seit 1919 war er regelmäßig auf Ausstellungen in und um Frankfurt vertreten. Gegen 1928 beschäftigte er sich intensiv mit der französischen Avantgardekunst. Kubistische Elemente sind vermehrt in seinen Bildern zu sehen. Er war auf dem Weg, ein anerkannter Künstler zu werden. Um so härter traf ihn die Verfemung, als 1933 die Nazis an die Macht kamen. Eine sog. „Politische Kommission für höhere Schulen beim Oberpräsidium" in Kassel sammelte Material gegen ihn: Er wurde angeklagt ein „Vertreter deformierter, expressionistischer, bolschewistischer Kunst" zu sein, ein Spitzel der Juden und auch Mitglied der KPD. Die zusammengewürfelten Anklagepunkte führten zum Verlust seiner Ämter, er konnte aber immerhin durch die Intervention einflussreicher Freunde wenigstens noch im Schuldienst bleiben. „Als Maler war ich kaltgestellt. Drohungen seitens der Partei noch 1938, nächtliche Hausdurchsuchungen usw.", wird er später über diese Zeit schreiben. 1937 wurden einige seiner Radierungen im Städelschen Kunstinstitut beschlagnahmt und verbrannt.

Seine Frankfurter Künstlerfreunde gerieten ebenfalls in die Schusslinie der Nazi-Funktionäre. Gottfried Diehls Arbeiten wurden aus öffentlichen Sammlungen entfernt. Hans Ludwig Katz wurde als Jude aus dem Frankfurter Künstlerbund ausgeschlossen, später gelang es ihm, nach Südafrika auszuwandern. Herbert Cramer stellte seine Galerietätigkeit schon 1932 mit einer Einzelausstellung Emil Betzlers ein und ging 1933 nach Palästina. Max Beckmanns Werke wurden 1937 als „entartet" gebrandmarkt und er emigrierte nach Amsterdam.

Abb. 07 Die Stadt, 1935, Tempera auf Rauhfasertapete, 53 x 40 cm, Privatbesitz

Ein drohendes endgültiges Berufsverbot als Lehrer wollte Betzler nicht riskieren. Er zog sich als Künstler völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Ganz wenige Bilder, die er für sich malte, zeigen, dass die innere Emigration durch die politischen Umständen aufgezwungen und rein äußerlich war. In dem Bild „Die Stadt" benutzte er das Formenrepertoire des Kubismus, da Häuser und Bäume in prismatisch aufgespaltene, farbige Flächen so gegeneinander gestellt sind, das jegliche räumliche Illusion vermieden wird. Die Anlehnung an die moderne französische Malerei hätte Betzler in beträchtliche Schwierigkeiten gebracht, weshalb er dieses und andere Blätter zu Hause unter Verschluss hielt. Ansonsten zeichnete er unverfängliche Akte und malte Landschaften, die in ihrem Naturalismus dem verordneten Stil entgegenkamen. 1940 wagte er es, einige Landschaftszeichnungen im Frankfurter Kunstverein auszustellen, für die er von der gleichgeschalteten Kunstkritik gelobt wurde, ansonsten war er auf Ausstellungen nicht mehr vertreten. Um 1943 verfasste er ein heimliches Spottgedicht auf Adolf Hitler, worin er seine ganze Verachtung des „Führers" und seiner brauen Horden zum Ausdruck brachte. Der Hitler des Gedichts spricht:
„ICH mache mir nichts aus Frauen; / ICH esse gern Apfelkompott; / ICH lasse Paläste bauen! / ICH bin euer einziger Gott! / ICH lasse die Juden ermorden! / ICH fühle mich so herrlich in Wut! / ICH bin aus nichts was geworden - / ICH wate am liebsten im Blut!"

Abb. 08 Schluchsee IV, 1937, aquarellierte Kohlezeichnung, 26,5 x 34 cm, Privatsammlung

Es ist schon bedrückend zu sehen, wie ein begabter avantgardistischer Maler, der gerade dabei war, sich einen Namen in der Kunstwelt zu machen, 1933 in seiner künstlerischen Existenz vernichtet und in seiner beruflichen Entwicklung eingeschnürt wurde. Für Emil Betzler wie für viele andere seiner Generation waren diese 12 Jahre braunen Terrors verlorene Jahre. Der künstlerische Neuanfang nach 1945 war dementsprechend schwierig: „Als Künstler in der Nazizeit verfemt, war der Anschluss nach dem Krieg nicht leicht. Es fehlte auch die Orientierung am internationalen Kunstschaffen, und die wirtschaftliche Not tat ein Übriges," erinnerte er sich.

Abb. 09 Stillleben mit Vasen, Schalen und Kopf, 1947, Tempera mit Deckweiß, 39 x 52 cm
Privatbesitz

Betzler versuchte zunächst, sich an seiner früheren expressiven und kubistischen Malweise zu orientieren, wie es das ganz klassische Motiv eines Stilllebens von 1947 zeigt. Später legte er über seine gegenständlichen Motive abstrakte Liniensysteme, welche die expressiv gesteigerten Farbflächen aufnehmen und in einen dynamischen Bildrhythmus einspannen. Die visionären, symbolbeladenen Motive von Paaren oder Einzelfiguren knüpfen in neuer Formgebung an seine expressionistischen Arbeiten an, so wie er sich selbst als einen „geborenen Expressionisten" bezeichnete. Aber da er den Schritt in die Abstraktion nicht vollzog, blieb er ein Außenseiter. An seine Ausstellungserfolge vor 1933 konnte er nicht mehr anknüpfen.

Leichter fiel es ihm, seit 1946 seine pädagogische Tätigkeit als Kunsterzieher und Hochschullehrer wieder aufzunehmen, da er politisch in keinster Weise durch den Nationalsozialismus vorbelastet war. 1950 war er Gründungsmitglied des „Bundes deutscher Kunsterzieher" und veröffentlichte mehrere Schriften zur Kunstpädagogik.

Emil Betzler starb 1974 in Frankfurt a. M.


Literatur:
Wichert-Meissner 1996
Susanne Wichert-Meissner, Der Künstler Emil Betzler (1892-1974), Bd. I, Textband, Diss. Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt 1996
Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet 2011
Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet. Künstler  - Händler – Sammler, Ausst. Kat. Museum Giersch, Frankfurt 2011
Pinthus 1959
Menschheitsdämmerung, ein Dokument des Expressionismus, neu hrsg. v. Kurt Pinthus, Hamburg 1959
Meyers 1968
Hans Meyers, Emil Betzler: Ein Beitrag zum Expressionismus, Frankfurt / M. 1968



 
 
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