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Vorabdruck: Emil Betzler (1892-
Klaus Kösters
Dieser Aufsatz über Emil Betzler ist ein Vorabdruck aus dem Begleitbuch der Ausstellung „Anpassung – Überleben – Widerstand", die ab November 2012 in 6 Museen in Westfalen gezeigt wird. Das Begleitbuch wird im November 2012 im Aschendorff-
Emil Betzler wurde in Kamen geboren. Seine Eltern besaßen eine Buchhandlung mit Druckerei. 1910 begann er eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Elberfeld, 1912-
Rückblickend schrieb Betzler: „Das gewaltige Erlebnis meiner Jugend war in jeder Beziehung der 1. Weltkrieg. Da wurde manches fragwürdig, was ich bis dahin für wichtig gehalten hatte. [...] Denn mit dem, was mir die halbvertrocknete Akademie vor dem Krieg vermittelt hatte, war jetzt nur noch ein Neuanfang zu bestreiten."
Mit seiner 1917 herausgegebenen expressionistischen Mappe „Christus-
Abb. 01 Kreuzigung, 1919/20, Aquarell, Feder, 50,5 x 42,7 cm, Privatbesitz
Das 1919/20 entstandene Aquarell „Kreuzigung" zeigt drei T-
„Alle Menschen sind der heiland. / In dem dunklen Garten trinken wir den Kelch. / Vater, laß ihn nicht vorübergehen. / Wir sind alle einer Liebe. / Wir sind alle tiefes Leid. / Alle wollen sich erlösen. / Vater, deine Welt ist unser Kreuz. / Laß sie nicht vorübergehen."
Abb. 02 Die Besiegten, 1919, Tuschpinsel mit Kohlestift, 43 x 34 cm, Privatbesitz
Eine ebenfalls 1919 entstandene Zeichnung „Die Besiegten" klagt das Grauen des Krieges direkter an, obwohl sich Betzler auch hier traditioneller Bildmetaphern bedient. Ein unnahbar stolzer, hoch zu Ross reitender Krieger mit einer Lanze befindet sich hinter einer Gruppe von nackten, von Schmerz und Angst niedergeworfenen Menschen. Gestik und Körperhaltungen sind expressiv überzeichnet und verstärken den Eindruck von maßlosem Leid und grenzenlosem Entsetzen. Das Bild ist ohne Raumtiefe, weshalb die Gruppe in beklemmender Enge zusammengepfercht erscheint. Die harten Hell-
In beiden Graphiken setzte sich Betzler nicht politisch mit Krieg und Zusammenbruch auseinander, sondern kleidete die Bildaussagen in einen traditionellen religiösen bzw. mythischen Rahmen. Deformation von Bildraum und Figuren bis hin zur Groteske sind expressionistische Stilmittel zur Ausdruckssteigerung, die sich auch bei anderen Künstlern der Zeit finden.
Abb. 03 Die Befreiung, 1920, Holzschnitt, 29,5 x 22 cm, Privatbesitz
In einem Holzschnitt von 1920 benutzte Betzler ebenfalls traditionelle Bildformeln, die er expressiv steigerte: Eine nackte männliche Figur steht auf einer Bergkuppe und hat die Arme der aufgehenden Sonne entgegen erhoben, vor deren gezacktem Lichtschein sich seine Silhouette abhebt. Die Raumtiefe ist aufgehoben, Vorder-
Dennoch, diese Jahre nach dem Krieg waren für Künstler nicht einfach, da der Kunstmarkt sich erst wieder entwickeln musste. So gründeten Emil Betzler und die Maler Gottfried Diehl, Hanns Ludwig Katz (1892-
Betzler wandte sich -
Abb. 04 Leierkastenmann, aus der Mappe: Großstadt, 1920, Lithografie, 31 x 23 cm, Privatbesitz
1925 machte er die Bekanntschaft von Max Beckmann. Betzler hielt anlässlich des Besuchs im Künstlercafé „Astoria" dessen markantes Profil in einer Zeichnung fest, die er dann für eine Radierung benutzte.
Abb. 05 Max Beckmann im Café Astoria, 1925, Radierung, 18 x 23,3 cm, Privatbesitz
Die Radierung steht auf der Schwelle zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Die übertriebene, leicht karikierende Typisierung der Caféhausbesucher, Überzeichnungen wie z. B. die überproportionalen Köpfe, die fallende Perspektive sind durchaus Elemente, die in der expressionistischen Grafik gang und gäbe waren, aber die durch Schraffuren hervorgehobene Plastizität der Figuren und die Detailfreude der Zeichnung sind Elemente, die dem neuen Stil entsprechen.
Abb. 06 „Tanz", 1926, Öl/Lw. 100 x 70 cm, Privatbesitz
Sein Hauptwerk dieser Zeit ist das Bild „Tanz" von 1926, wo er eine mondäne Gesellschaft bei ihrem Freizeitvergnügen nicht ohne ironische Distanz schildert. Die wenigsten Paare schauen sich in die Augen. Gleichgültigkeit, Überheblichkeit bis zu Arroganz lassen sich in den gesichtern lesen, aber auch Zuneigung, hingabe und freude am Tanz. Betzler gelingt es, ein ganzes Panorama menschlicher Paar-
1926 wurde er zum Studienrat ernannt, 1930 zum Fachberater für Kunsterziehung an Hochschulen. Seit 1919 war er regelmäßig auf Ausstellungen in und um Frankfurt vertreten. Gegen 1928 beschäftigte er sich intensiv mit der französischen Avantgardekunst. Kubistische Elemente sind vermehrt in seinen Bildern zu sehen. Er war auf dem Weg, ein anerkannter Künstler zu werden. Um so härter traf ihn die Verfemung, als 1933 die Nazis an die Macht kamen. Eine sog. „Politische Kommission für höhere Schulen beim Oberpräsidium" in Kassel sammelte Material gegen ihn: Er wurde angeklagt ein „Vertreter deformierter, expressionistischer, bolschewistischer Kunst" zu sein, ein Spitzel der Juden und auch Mitglied der KPD. Die zusammengewürfelten Anklagepunkte führten zum Verlust seiner Ämter, er konnte aber immerhin durch die Intervention einflussreicher Freunde wenigstens noch im Schuldienst bleiben. „Als Maler war ich kaltgestellt. Drohungen seitens der Partei noch 1938, nächtliche Hausdurchsuchungen usw.", wird er später über diese Zeit schreiben. 1937 wurden einige seiner Radierungen im Städelschen Kunstinstitut beschlagnahmt und verbrannt.
Seine Frankfurter Künstlerfreunde gerieten ebenfalls in die Schusslinie der Nazi-
Abb. 07 Die Stadt, 1935, Tempera auf Rauhfasertapete, 53 x 40 cm, Privatbesitz
Ein drohendes endgültiges Berufsverbot als Lehrer wollte Betzler nicht riskieren. Er zog sich als Künstler völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Ganz wenige Bilder, die er für sich malte, zeigen, dass die innere Emigration durch die politischen Umständen aufgezwungen und rein äußerlich war. In dem Bild „Die Stadt" benutzte er das Formenrepertoire des Kubismus, da Häuser und Bäume in prismatisch aufgespaltene, farbige Flächen so gegeneinander gestellt sind, das jegliche räumliche Illusion vermieden wird. Die Anlehnung an die moderne französische Malerei hätte Betzler in beträchtliche Schwierigkeiten gebracht, weshalb er dieses und andere Blätter zu Hause unter Verschluss hielt. Ansonsten zeichnete er unverfängliche Akte und malte Landschaften, die in ihrem Naturalismus dem verordneten Stil entgegenkamen. 1940 wagte er es, einige Landschaftszeichnungen im Frankfurter Kunstverein auszustellen, für die er von der gleichgeschalteten Kunstkritik gelobt wurde, ansonsten war er auf Ausstellungen nicht mehr vertreten. Um 1943 verfasste er ein heimliches Spottgedicht auf Adolf Hitler, worin er seine ganze Verachtung des „Führers" und seiner brauen Horden zum Ausdruck brachte. Der Hitler des Gedichts spricht:
„ICH mache mir nichts aus Frauen; / ICH esse gern Apfelkompott; / ICH lasse Paläste bauen! / ICH bin euer einziger Gott! / ICH lasse die Juden ermorden! / ICH fühle mich so herrlich in Wut! / ICH bin aus nichts was geworden -
Abb. 08 Schluchsee IV, 1937, aquarellierte Kohlezeichnung, 26,5 x 34 cm, Privatsammlung
Es ist schon bedrückend zu sehen, wie ein begabter avantgardistischer Maler, der gerade dabei war, sich einen Namen in der Kunstwelt zu machen, 1933 in seiner künstlerischen Existenz vernichtet und in seiner beruflichen Entwicklung eingeschnürt wurde. Für Emil Betzler wie für viele andere seiner Generation waren diese 12 Jahre braunen Terrors verlorene Jahre. Der künstlerische Neuanfang nach 1945 war dementsprechend schwierig: „Als Künstler in der Nazizeit verfemt, war der Anschluss nach dem Krieg nicht leicht. Es fehlte auch die Orientierung am internationalen Kunstschaffen, und die wirtschaftliche Not tat ein Übriges," erinnerte er sich.
Abb. 09 Stillleben mit Vasen, Schalen und Kopf, 1947, Tempera mit Deckweiß, 39 x 52 cm
Betzler versuchte zunächst, sich an seiner früheren expressiven und kubistischen Malweise zu orientieren, wie es das ganz klassische Motiv eines Stilllebens von 1947 zeigt. Später legte er über seine gegenständlichen Motive abstrakte Liniensysteme, welche die expressiv gesteigerten Farbflächen aufnehmen und in einen dynamischen Bildrhythmus einspannen. Die visionären, symbolbeladenen Motive von Paaren oder Einzelfiguren knüpfen in neuer Formgebung an seine expressionistischen Arbeiten an, so wie er sich selbst als einen „geborenen Expressionisten" bezeichnete. Aber da er den Schritt in die Abstraktion nicht vollzog, blieb er ein Außenseiter. An seine Ausstellungserfolge vor 1933 konnte er nicht mehr anknüpfen.
Leichter fiel es ihm, seit 1946 seine pädagogische Tätigkeit als Kunsterzieher und Hochschullehrer wieder aufzunehmen, da er politisch in keinster Weise durch den Nationalsozialismus vorbelastet war. 1950 war er Gründungsmitglied des „Bundes deutscher Kunsterzieher" und veröffentlichte mehrere Schriften zur Kunstpädagogik.
Emil Betzler starb 1974 in Frankfurt a. M.
Literatur:
Wichert-
Expressionismus im Rhein-
Expressionismus im Rhein-
Pinthus 1959
Menschheitsdämmerung, ein Dokument des Expressionismus, neu hrsg. v. Kurt Pinthus, Hamburg 1959
Meyers 1968
Hans Meyers, Emil Betzler: Ein Beitrag zum Expressionismus, Frankfurt / M. 1968